Die Welt mit anderen Augen sehen

In der Regel steht im Kampfsport der Kämpfer im Mittelpunkt, aber der ist auch nur so gut wie das Team, das sich um ihn kümmert. Vor dem Kampf kümmert sich der Trainer um den Athleten, doch in den Rundenpausen leistet in der Ecke jemand anderes Höchstleistungen: Der Cutman. Deutschlands wohl bekanntester Cutman, Michael Schmidt aka „Cutman Liberty“ im Interview über seinen Job, seine Leidenschaft und sein neues Buch.

Boxhaus: Hallo Michael, schön dass du Zeit für uns gefunden hast! Für Alle, die dich noch nicht kennen, stell dich doch kurz mal vor!

Michael: Hallo liebe Leserinnen und Leser, mein Name ist Michael „Cutman Liberty“ Schmidt, ich bin 43 Jahre alt und komme aus dem schönen Dorsten, noch im Ruhrgebiet, aber am Rande des Münsterlandes. Ich bin verheiratet und staatlich examinierter Physiotherapeut mit Zusatzqualifikation für manuelle Lymphdrainage. Und natürlich auch: „Cutman Liberty“.

Boxhaus: Hast du, bevor du dich dazu entschieden hast Cutman zu werden, auch selbst gekämpft?

In jungen Jahren war ich mal als unbedeutender Boxschüler, einer von vielen beim berühmten Michael Koppzock aus Gelsenkirchen, leider völlig talentfrei, so mit ca. 28 hatte ich noch einmal probiert wieder einzusteigen, aber wieder musste ich selbst erkennen, dass mein Talent gleich Null ist! Mehr Erfolge hatte ich mit der Kraftdreikampf Nationalmannschaft, wo ich als Physio die Betreuung übernahm, dort habe ich auch gelernt, wie man vernünftig Kraft aufbauen kann! Selbst an Wettkämpfen,  habe ich nie teilgenommen, meine körperlichen Voraussetzungen diesbezüglich waren nicht optimal und so musste ich mir andere Betätigungsfelder suchen!

Boxhaus: Wie kam es dazu, dass du dich eher in die Ecke gestellt hast, als in den Ring selber?

Michael: Oh, für den Ring selber habe ich leider nicht mehr die körperlichen Voraussetzungen, ein Wirbelsäulenleiden macht jeglichen Versuch eines Comebacks nahezu unmöglich! Ich betreue seit vielen Jahren Profi und Amateursportler, das macht mir sehr viel Spaß, und hier kommen Hobby und Beruf zusammen, was kann einem besseres passieren? Sonst wäre ich bestimmt sehr gerne noch dabei, manchmal blutet mir das Herz, das es schon fast weh tut, ich kompensiere das, indem ich versuche bei jeder Betreuung eines Sportlers 300% zu geben! So gewinne ich den Kampf ja auch mit!

Boxhaus: Du hast jetzt ein Buch geschrieben , wie kamst du auf diese Idee und was werden wir drin lesen können?

Michael: Ein Freund von mir hatte mich gebeten, mal einen kleinen Leitfaden zu erstellen, was Betreuer so brauchen etc.
Ich fing samstagabends an, und meine Frau sagte irgendwann: „ Gute Nacht Schatz!“, als ich sie das nächste Mal sah, begrüßte sie mich mit „ Guten Morgen, bist du bekloppt?“. Ich hatte mich so sehr vertieft und hineingesteigert, dass der erste Grundstein für das Buch entstanden ist!
So entstand in einem Zeitraum von ca. 6 Monaten diese Idee, habe aber nur selten daran gearbeitet, weil ich danach nur dran ging, wenn ich auch Lust dazu hatte!
Andere Menschen könnten in diesem Buch erfahren, wie es genau abgeht in den Betreuerecken, und das dort mehr als nur etwas Erste Hilfe dahintersteckt, sondern fundiertes und auch ausgereiftes Wissen über Verletzungen, Krankheitslehre und Hygiene! Zur Zeit ist bei den Cutmèn weltweit zu erkennen, das dort eine neue Generation heranwächst, mit dem Wunsch auch hygienisch einen einwandfreien Job zu machen, und sich auch weltweit auszutauschen über Tricks und neue Techniken z.B. beim Bandagieren. Bei Facebook habe ich eine Community gegründet, in der sich alle bekannten Cutman wiederfinden, da sind Namen wie: „Stitch, Juan Ramirez, Adam Gigli, Federico Catizone“,  ganz normal, wir sehen uns als Brüder und behandeln uns auch so, eine tolle Gemeinschaft!
Meine Freunde meinten auch, dass dieses Buch nicht nur fachlich interessant ist, sondern auch humorvoll umschrieben ist, ich selber kann das leider nicht beurteilen. Manchmal nehme ich Leute etwas auf die Schippe, ein anderes Mal prangere ich die bisherigen Behandlungsmethoden an, also ist es so, dass jedermann sehr wertvolle Informationen über unseren Sport bekommen kann, bei gleichzeitig hoffentlich auch, unterhaltsamen Inhalt!
Außerdem habe ich auch mal die Regeln einer MMA Veranstaltung hineingestellt, dort kann sich jedermann, auch Reporter die den MMA Sport verunglimpfen oder von der Box Lobby beauftragt worden sind, negativ über MMA zu berichten, informieren mit welch fairen Regeln ein MMA Kampf in Wirklichkeit ausgerichtet wird. Da gibt es keine Spur von Sensationslustigen Zeitungsreporten von wegen: „ Wieder ein `Blutkampf` im Käfig!“ Boxen ist ein völlig anderer Kampfsport, und hat auch verdientermaßen seine Stellung in unserer Gesellschaft, jedoch wird es Zeit das die Boxlobby endlich mal aufhört unseren Sport zu boykottieren und schlechtzureden, Szenen wie bei Chisorra hat man bei uns noch nie gesehen! Ich habe auch noch nie eine private Schlägerei oder ähnliches miterlebt, beim MMA gibt es solche Szenen nicht, da ist mehr Respekt vorhanden! Die verschiedenen Religionen und Kulturen trainieren zusammen, und auch wenn man auf andere Schulen trifft, geht man hinterher sogar zusammen etwas Essen, bei vielen anderen Sportarten gibt es so etwas zumindest nicht zu sehen! Macht Euer dingen, aber lasst uns in Ruhe! Und das ein MMA Kämpfer beschissen wurde um einen Titel, kam ebenfalls noch nicht vor, denn ein bekannter Boxer, der vor wenigen Wochen verloren hatte, wird ein Lied davon singen können!

Am 15. Dezember stehst du Enes Bafra zur Seite, der in Stuttgart gegen Robert Scott Westermann kämpft. Bist du auch am Vorbereitungsprozess der Kämpfer beteiligt?

Michael: Ich bin für meine Jungs vom Team Wietzorreck jederzeit da, wer zwischendurch ein Problem hat, kann auch immer bei mir vorbeikommen. Ich habe alles was man braucht, bei mir Zuhause! Das ist aber meine Mannschaft, wer mich privat buchen möchte, muss sich im Klaren sein, was er von mir will!
Ich bin gerne auch bei der Vorbereitung dabei, halte es auch für sehr sinnvoll, allerdings ist man als Cutman noch Meilenweit in Deutschland entfernt von einer professionellen Nutzung durch die einzelnen Gym`s, denn wer hat schon das Geld um sich so etwas leisten zu können? Auch das Bewusstsein, das wir einen Kampf entscheidend beeinflussen können, ist bei den meisten noch nicht angekommen! Da ist die Mentalität auch noch im Aufbau, auch die Einstellung zu einem professionellen Ablauf.  Aber wir arbeiten daran! Mein Freund Stefan Schott aus Mainz und ich, haben es uns zum Ziel gesetzt, den Cutman auch in Deutschland zu einem festen Bestandteil der Szene zu machen, es wird ein harter Kampf, aber wir nehmen die Herausforderung gerne an!

Boxhaus: Bereitest du dich auf jeden Kampf individuell vor, oder ist der Job eher Routine?

Michael: Routine darf es niemals geben, dann wird man unaufmerksam. Vor jedem Kampf kocht bei mir Zuhause die Cutman Küche! Alles wird sterilisiert, vorbereitet und fertig gemischt! Wie in einer Hexenküche, so steigt auch bei mir die Konzentration auf den folgenden Kampf! Ich kläre vorher mit den Trainern immer ab, für welche Bereiche ich zusätzlich zuständig bin, entsprechend ist dann auch die eigene Vorbereitung! Wenn es Youtube zulässt, gucke ich mir auch vorher die Gegner an, welche Stärken und Schwächen sie haben, so bin ich dann bestens informiert! Natürlich muss man auch Wissen, in welcher gesundheitlicher Verfassung der eigene Kämpfer ist, oder ob er vielleicht ein Leiden hat, das man mit berücksichtigen sollte bei der Planung, hier kommt z.B. ein Diabetes oder eine andere chronische Erkrankung in Betracht, wo man vorher Bescheid wissen sollte! Nein, Routine gibt es nicht, alles ist individuell und jeder Kämpfer bringt seine eigene Betrachtungsweise mit!

Boxhaus: Am Samstag hat Benson Henderson mit einem Zahnstocher im Zahnschutz gekämpft, was sagst du als Cutman dazu? Ist das fahrlässig oder kann nichts passieren?

Michael: Kann ich leider nichts dazu sagen, ich weiß nicht worum es genau geht. Wenn ich mir 2 Szenarien vorstelle, also dass der Mouthguard kaputt war und er versucht hat ihn damit zusammenzuflicken, hätte ich ihm sofort geraten einen vom Sportdentisten Rick zu benutzen, die gehen nämlich so schnell nicht kaputt! Wer ihn kontaktieren möchte kann das auf Facebook versuchen, andernfalls habe ich gerade das Bild im Kopf, dass jemand ganz lässig mit einem Zahnstocher in den Ring steigt nach alter Westernmanier, dann würde ich mich fragen warum der Referee da keinen Riegel vorschiebt, weil es meines Wissens nach auch nicht erlaubt ist! Alleine die Vorstellung, was so ein kleines Stück Holz anrichten kann, wenn es einen direkten Treffer bekommt, macht mir ehrlich gesagt kein gutes Gefühl, ich werde mich mal erkundigen worum es da genau ging! Hört sich aber ziemlich unvernünftig an!

Boxhaus: Diese Woche tauchten überall im Internet Bilder auf, auf denen man dich mit dem Aufdruck I.C.A zu sehen kann, was hat es damit auf sich?

Michael: Wie gesagt, ich bin mit Cutmen aus der ganzen Welt in Kontakt! Federico Catizone aus Italien hat die „International Cutman Association“ gegründet, wo ich direkt aufgenommen wurde. Kontakt hatten wir schon lange durch meine Facebook Community!
Höchstwahrscheinlich wird kein geringerer als Jacob „Stitch“ Duran unser Schirmherr, denn die meisten von uns, mich eingeschlossen, betreut er persönlich! Federico und ich hatten in der letzten Woche mal ein interessantes Gespräch, wir waren beide der selben Meinung, das in der Cutman Szene ein Umbruch stattfindet.
Die Zeiten wo der Cutman mit einem Wattestäbchen im Mund oder hinter den Ohren und ohne Schutzhandschuhe im Gesicht des verletzten Kämpfer herumsuhlt sind vorbei!
Eine neue Generation mit einem gesunden Verantwortungsbewustsein dem Sportler gegenüber, und auch hygienisches Umdenken ist angebrochen, die Cutmen von heute kommen aus der Medizin oder haben Erfahrungen mit dieser Materie! Zu oft sieht man immer noch bei „Profikämpfen“, das mit dem Handtuch erst der Ringboden gewischt wird, danach wieder im Gesicht des Boxers hantiert wird!
Das ist nicht nur ekelhaft, sondern auch eine unglaubliche Schweinerei dem Sportler gegenüber, meiner Meinung nach unverantwortlich! In meinem Buch greife ich diese Thematik auf, biete aber gleichzeitig vertretbare Alternativen an, um einen möglichst sauberen Ablauf während des Kampfes zu gewährleisten!
Ich möchte auch noch auf meinen guten Cutman Freund Stefan Schott aus Mainz hinweisen, er ist ebenfalls Physiotherapeut und Cutman, wir beide haben schon Respect8 gerockt und sind am 23 Februar mit Gökhan Aydin in Bremen bei No Compromises als offizielle Cutman eingeteilt, wer möchte kann uns ja mal etwas intensiver auf die Finger gucken!

Boxhaus: Danke, Michael, für das Gespräch!

Michael: Vielen Dank für Euer Interesse und ich hoffe, dass wir uns bald mal wiedersehen! Bei Markus Wiemann werde ich übrigens im voraussichtlich im Januar eine Lesung geben, wenn er seinen eigenen Cuidado Laden aufmacht, würde mich freuen auch aus euren Reihen ein paar Leute zu treffen! Wäre eh schön, wenn Kampfsportler sich wieder als Gemeinschaft und Familie betrachten würden, jedem das seine, dann klappt es auch mit dem Nachbarn!

 

Wer sich für das sehr gelungene Buch des Cutmans interessiert kann es sich im örtlichen Bücherladen ordern, oder bei Amazon direkt nach Hause bestellen: Cutman, eine Runde länger

  • Verlag: Books on Demand; Auflage: 1. (4. Dezember 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3848253593
  • ISBN-13: 978-3848253593

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