Ist BJJ im MMA überholt?

Rolles Gracies KO gegen Derrick Mehmen bei World Series of Fighting war das letzte Mosaiksteinchen in einer Reihe von Niederlagen, die einige der besten BJJler dieser Tage in den letzten Monaten in den Mixed Martial Arts hinnehmen mussten.

Um jetzt nur die nähere Vergangenheit zu betrachten, fallen mir persönlich zwei weitere bedeutende Beispiele ein: Roger Gracie wurde im BJJ GI neunfacher Mundials Goldmedaillengewinner, zweifacher ADCC-Sieger, mit einer BJJ-Bilanz von 65 Siegen bei nur 7 Niederlagen, verlor Anfang Juli diesen Jahres eine klare Punkteentscheidung gegen Tim Kennedy. Nun ist Kennedy beileibe kein schlechter Kämpfer, hat eine 16-4-Bilanz im MMA und stand zweimal im Kampf um den Strikeforce Halbschwergewichtstitel im Käfig.

Trotzdem hatte man irgend wie mehr von Roger erwartet. Inspirationslos und ohne echte Chance steuerte er von Beginn an auf eine Decisionniederlage zu, ohne dass je das Gefühl aufkam, dass er den Kampf noch gewinnen könne. Von der Dominanz, die er auf der Matte ausstrahlte, keine Spur. Er wurde somit der vierte Gracie, der in der UFC sein Glück versuchte und nach einer Niederlage gecuttet wurde.

Ein ähnliches Schicksal ereilte einen zweiten Weltklasse BJJler. Benson Henderson, BJJ-Schwarzgurt und dritter der Mundials in der Braungurtklasse 2011, unterlag im Titelkampf gegen den BJJ-Blaugurt Anthony Pettis. Und das nicht durch einen spektakulären Kick, wie in ihrem ersten Aufeinandertreffen, sondern durch Armbar, womit der eigentlich als „untapbar“ geltende Henderson wohl selbst am wenigsten gerechnet hätte.

In der Folge dieser Kämpfe kam es vermehrt zu Diskussionen in den einschlägigen Foren, inwiefern BJJ im modernen MMA noch Chancen hätten.

BJJ GI

Diese Fragestellung verfolgt meiner Meinung nach schon den komplett falschen Ansatz. Die Niederlagen einiger der besten Grappler der Welt im Octagon zeigen nicht etwa, wie „überholt“ BJJ im MMA ist. Vielmehr zeigen sie das genaue Gegenteil. BJJ, Luta Livre, Submission Wrestling oder wie auch immer man den Bodenkampf titulieren will, ist in der heutigen Zeit zu einer unverzichtbaren Grundlage jedes MMAlers geworden.

Es ist nicht zu hoch gegriffen zu prophezeien, dass wir in den nächsten Jahren keinen MMA-Kämpfer auf absolutem Spitzenniveau mehr sehen werden, der nicht über mindestens eine solide Bodenkampferfahrung verfügt.

Und genau hier liegt auch das Problem der „reinen“ BJJler, wie es die letzten Gracies waren. Sie haben nach jahrelanger Grapplingerfahrung den Sprung ins MMA gewagt. Es sind im Grunde genommen BJJler, die einen Quereinstieg versucht haben, keine ausgebildeten MMAler. Während die „neue Garde“ der MMAler speziell Bodenkampf für die Mixed Martial Arts trainiert hat, haben sie jahrelang reines Sport-BJJ mit Berimbolos, 50/50-Guard usw usf. ausgeübt. Das Problem hierbei: der Gegner schlägt nicht, er slamt nicht, wehrt sich nicht mit all jenen Dingen, die im Octagon letztlich erlaubt sind.


Das moderne Sport-BJJ hat mit der Selbstverteidigung, wie sie die Gründer dieser Kampfkunst einst im Sinn hatte, zwar noch viele Gemeinsamkeiten, doch ist BJJ inzwischen zu einer allgemein anerkannten Sportart geworden, die den SV-Anteil zumindest teilweise längst vergessen hat.

Das ist das Problem, warum viele hochrangige Kämpfer mit jahrelanger BJJ-Wettkampferfahrung im MMA nicht so recht Fuß fassen, nicht, dass BJJ an sich überholt ist. Denn dass es das nicht ist, hat genau jener Anthony Pettis wieder gezeigt, indem er Henderson mit einem Armbar besiegte. Vielmehr ist BJJ in seiner Urform heute immer noch einer der wichtigsten Bestandteile des MMA, ohne das kein Kämpfer in den oberen Regionen bestehen kann.

Damit auch die reinen Grappler, wie die meisten Gracies es sind, einen erfolgreichen Einstieg in die Welt der Mixed Martial Arts finden können, müssen sie in ihrem Training weg vom Sport-BJJ hin zur ehemals entwickelten Selbstverteidigung. Denn letztlich ist es das, was dutzende erfolgreiche UFC-Kämpfer in den letzten Jahren gezeigt haben und viele von ihnen so erfolgreich gemacht hat.

Letztlich sei gesagt, dass dies kein Plädoyer gegen Sport-BJJ sein soll. Die Sportart hat ihre Berechtigung und ist meiner Meinung nach eine der anspruchsvollsten Kampfsportarten die es gibt, nicht umsonst spricht man von „human chess“. Um erfolgreich in MMA-Kämpfen (auf Weltklasse-Niveau!) teilzunehmen, kommt man aber an einer Ausübung des BJJs nach den alten Grundsätzen nicht vorbei.

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