Bare Knuckle Boxen und die heuchlerische Doppelmoral der Dämonisierung

Natürlicher als der Faustkampf ist wohl nur das Babysmachen. Die Wurzeln liegen tatsächlich so weit zurück, dass es scheint, als sei Boxen schon immer präsent gewesen. Rohes Prügeln mauserte sich erstmals um 700 vor Christus zu einer etablierten Sportart und ist noch immer ähnlich pur, wie zu den 23. olympischen Spielen des Altertums. Die vermutlich größte Veränderung des Boxsports: Die Queensberry-Regeln. No Mercy für Kämpfer – alles für das Publikum.

Bare Knuckle Boxen auf den ersten und zweiten Blick

Mit bloßen Fäusten auf einen Gegner einzuhämmern, ist nicht Bare Knuckle Boxing, sondern Straßenkampf, vielleicht Selbstverteidigung, vielleicht Testosteron Überschuss berauschter Halbstarker und ohne Zweifel konträr zum wettkampforientierten Faustkampf. Ein Unterschied, der für den Leien nicht allzu leicht erkennbar ist und das vollkommen nachvollziehbar. Kein Zuschauer, der nicht am Kampfsport beteiligt ist, sieht in den Kopf eines Bare Knuckle Fighters und auch nicht in den eines Boxers aus dem offiziellen Sport, er weiß nicht, aus welcher Motivation er mit Ehrgeiz tut, was er tut und möchte sich in der Regel nur von dessen sportlichen Leistung in den Bann ziehen lassen, er will ein Stück von dem, was er sieht spüren – tief in seiner DNA Verborgenes aufleben lassen. Und sich ein Urteil bilden. Keinen Führerschein besitzen und sich über komisch Parkende lustig machen, quasi.
Boxhandschuhe
Seit den Queensberry Regeln, 1867 also, entwickelte sich eine parallele Boxkultur, die es nicht aus Kneipen und Hinterhöfen schaffte. Kämpfer, die mit bloßen Händen boxten, ohne Rundenlimit, bis zum K.O, bis einer der Boxer aufgab, ganz ähnlich dem Mayweather Gym – nur ohne Handschuhe. Nach Hahnenkampfmanier fielen Schläge in teils stundenlangen Kämpfen, mit allem was der Untergrund zu bieten hatte. In Mitten zwielichtiger Gestalten und hohen Wettsummen tragen noch heute Familienclans in Großbritannien und Irland Kämpfe aus, während die World Bareknuckle Boxing Association unreguliert und illegal Weltmeister kürt. Underground-Fighter die nach der Rache von vor zig Jahren verlorenen Kämpfen trachten, die in Beulereien auf schlecht befestigten Wegen im Sichtschutz alter Jeeps und einer Menschenmenge ihre Familienehre verteidigen, oder einfach Geld zum Leben brauchen, sie lösen und verursachen Probleme im englischen und irländischen Hinterland – bei allem Argwohn – nach striktestem Fairplay. Doch die Umstände waren anders zu Zeiten, als John L. Sullivan der letzte Champion im Bare Knuckle Boxing Schwergewicht war. Sullivan gilt als erste amerikanische Sportslegende, als Nebenerscheinung war seine Geldbörse praller, als jede Geldbörse eines Athleten vor ihm. Berühmt und wohlhabend also und ein guter Boxer noch dazu. Wie stark sich das Boxen, das wir kennen und das verruchte Bare Knuckle Fighting tatsächlich unterscheidet? Es war keine Seltenheit, dass ein Kampf sich über mehrere Stunden erstreckte, manche gingen sogar länger als ein Tag. Wie roh und zermürbend das Boxen zu Sullivans Prime wirklich war, zeigen Tourneen: 195 Kämpfe in 136 Städten und diese Tortour in nicht mehr als 238 Tagen.

Warum ist Bare Knuckle Boxen nicht im Mainstream vertreten?

Nun, der längste Kampf der Bare Knuckle Boxing Geschichte dauerte knapp über sechs Stunden. Mit solch freizeitzerstörenden Sendezeiten verliert jede TV-Station Zuschauer. Außerdem machen sich von Cuts übersäte Gesichter nach einer Barbara Salesch Show und vermutlich auch bei ihrer Zielgruppe weniger gut. Boxen, so glamourös und elegant verkauft sich schlicht besser. Boxen ist ohne Frage ein wunderbarer Sport. Es fördert Menschen geistig, körperlich und verbessert die Lebensqualität ungemein, wir sollten nur die Wurzeln nicht vergessen, gerade dann, wenn Titel fallen wie “the greatest boxer of all time“. Zudem bewegen sich Boxkämpfe ohne Handschuhe und unter gegebenen Bedingungen in einer gesetzlichen Grauzone, die generell keinen Markt bietet. Bobby Gunn verteidigte seinen Weltmeister Titel in Jeans, auf dem Betonboden einer Tiefgarage. Und ob es moralisch eine Sache wäre, dessen Popularität ausgeweitet werden sollte,
ist ebenfalls fraglich. Nicht der Gefahr wegen, sondern vielmehr aufgrund der Nähe zur Realität.

Unser Boxen vs. Bare Knuckle Boxen, was ist gefährlicher?

In Anbetracht des Fakts, dass Tom Hyer an Herzversagen starb, Jem Mace bis zu seinem 78. Lebensjahr in den Ring stieg, William Abednego Thompsen bis zu zehn Kämpfe pro Monat von denen nicht wenige über 50 Runden zählten austrug und mit 69 Jahren von der Treppe fiel und Boxer heute als unbrauchbar gelten, wenn sie die 40 Jahre geknackt haben, ist einiges am heutigen Boxsport zu hinterfragen. Zuerst gilt es über die Boxhandschuhe nachzudenken und woher sie kommen, welche Intention sie in den Boxsport brachten. Die schweren Handschuhe mit Innenfutter und Polsterung machen zumindest den Eindruck, als seien sie Gesichts-und Gehirnschonend. In Wahrheit verbirgt sich hinter ihnen der Grund, warum Kämpfe nicht den ganzen Tag dauern. Schläge zum Kopf sollen gefördert werden, während Bare Knuckle Kämpfer aus Angst, ihre Hand zu brechen, lieber auf den Körper feuerten. Im Schutze der Handschuhe sinkt die Hemmschwelle vor schweren Schlägen für dramatischere Knockouts und ein fröhliches Publikum. Und die Kämpfer wurden nach guten Kämpfen, die aber ihre Hand zerbersten ließen nicht in eine mehrwöchige Ruhephase geschickt und erst wieder eingesetzt, wenn alles geheilt war. Das Training ohne Boxhandschuhe muss scheußlich sein, das weiß, wer einmal einen Heavybag mit bloßen Händen bearbeitete. Um Verletzungen zu vermeiden, muss der Schlag sauber und präzise kommen. Der Schädel ist hart und ein falscher Treffer kann den Kampf entscheiden. Böte sich Bare Knuckle Boxern die Möglichkeit, auf dem Niveau eines Lomachenko zu trainieren, unter gleichen Umständen, dann wären sie sicher die besseren Faustkämpfer.

Eine andere Welt des Schlagens

Wenn ein Jab die Hand brechen kann, muss umgedacht werden. Bare Knuckle Boxer schmeißen Fäuste anders. Um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, einen der 27 Knochen der Hand zu teilen, wird das Handgelenk auf Kosten der Reichweite nach hinten gebeugt – mit dem Handballen geschlagen. Die Faust wird bedachter eingesetzt und ist oftmals den Körpertreffern vorbehalten. Körpertreffer vor Kopftreffer also. Und sieht der Kämpfer den Schlag seines Gegners früh genug kommen, bewegt er seinen Kopf, ähnlich einer Kopfnuss, in den Weg des Schlags – riskant, aber effektiv. Ist die Hand des Gegners gebrochen, war’s das mit harten Schlägen und vielleicht ist der Kampf entschieden. Zusätzlich bringt es den Kämpfer näher an seinen Gegner, die abgewehrte Faust konnte durch das Manöver nicht gut ausgeführt werden und es wird gekontert. Als wäre das alles nicht schon genug, verriet Joe Joyce seinen Geheimtipp für harte Hände und weniger Brüche. Ob es seinem Legendenstatus in der britischen Gypsy Bare Knuckle Boxing Szene verhalf, die Knöchel mit Benzin zu behandeln? Bare Knuckle Boxing und das moderne Boxen sind kaum miteinander vergleichbar. Die Kultur ist eine andere und der Schlag von Mensch ebenso. Die Motivation hinter diesem Artikel findet sich in der Notwendigkeit, aufzuklären. Und auch, um zu zeigen, dass Boxen nach Queensberry-Regeln nicht zweifellos harmloser ist, weil es dem Laien so scheint. Wer glaubt, dass ein Muhammad Ali der beste Boxer aller Zeiten ist, der vergisst, einen Blick auf die weitestgehend undokumentierte Zeit des Faustkampfes zu werfen.

Über den Autor:

Hey Leser! Ich bin Merlin Lauert, ein begeisterter Freelance-Texter und Blog-Connaisseur. Ich schreibe nicht nur Texte für Webseiten und Online-Magazine, sondern bin auch in Sport verliebt. Mehr von meiner Schreiberei findest du hier: https://merlinlauert.contently.com/. Melde dich bei mir unter lauertmerlin@googlemail.com

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